Zweimal Frankreich und zurück
Das Doppelleben des Usedomer Bürgermeisters Otto Paul Trömel
Vor 110 Jahren begann eine mysteriöse Geschichte um den damaligen Bürgermeister der Stadt Usedom namens Paul Trömel. Die Ereignisse um ihn fanden nicht nur ein Echo in den regionalen und überregionalen Tageszeitungen Deutschlands, sondern sogar europaweit.
Was geschah mit dem Usedomer Amtsträger in den Jahren 1911 und 1913? Dieser Beitrag versucht, anhand von zahlreichen Zeitungsartikeln jener Jahre und einiger privater Unterlagen den Ablauf der Ereignisse chronologisch darzustellen.
Was ist über Otto Paul Trömel zunächst bekannt? Er wurde am 29. Juli 1881 als Sohn des Seilwarenfabrikanten und Kaufmanns Ernst-Ferdinand Trömel und der Johanne Christine Wilhelmine Finkbohner in Gera geboren. 1898 legte er sein Abitur am Fürstlichen Gymnasium in Gera ab. Von 1898 bis 1900 diente er im Infanterieregiment Vogel von Falckenstein in Wesel. Ab 1900 bis 1903 versah er dort seinen Dienst als Offizier im Rang eines Leutnants. Nach einer Typhuserkrankung 1903 schied er aus dem Militärdienst aus. Er begann ein Studium der Rechtswissenschaften, das er aber bereits 1904 wieder abbrach. Vor seinem Amtsantritt in Usedom im Juli 1908 fungierte er von Februar 1904 bis 1906 bereits in Kirchditmold (Hessen) und vom 22. Oktober 1906 bis zum 18. Juli 1908 in Hirschberg an der Saale als Bürgermeister. Vom 27. Oktober 1907 bis zum 16. Juli 1908 war Trömel Abgeordneter im Landtag Reuß jüngere Linie für die Fortschrittliche Volkspartei (FVP). Paul Trömel heiratete am 3. Juni 1903 Marie Elisabeth Clara Körner (1879-1965) in Wahlershausen bei Kassel. Das Ehepaar bekam drei Kinder. Bürgermeister Trömel bewarb sich 1911 als liberaler Kandidat für die bevorstehenden Reichstagswahlen im Januar 1912.
Am 15. Februar des Jahres 1911 reiste er wegen des Ankaufes eines Geldschrankes nach Berlin. Einen Tag später bereits wurde er vermisst. Es begannen zunächst wilde Spekulationen über die Ursachen des Verschwindens. So sagte ein Zeuge, der Trömel zuletzt gesehen hatte, folgendes aus: „Herr Bürgermeister Trömel war eine reichliche Stunde bei mir auf meinem Bureau, da Herr Troemel die Abnahme des für die Stadt Usedom bestellten Tresors vornehmen wollte. Wir vertieften uns in ein längeres Gespräch und kamen schließlich überein, gemeinsam unser Mittagessen einzunehmen, was auch in einem Weinrestaurant geschah. Unter angeregtem Geplauder verging die Zeit, und wir schieden erst gegen 4 Uhr nachmittags. Ich muß sagen, daß von Lebensüberdruß oder irgend einer Depression absolut nichts zu bemerken war. Wir haben zusammen nur eine Flasche Wein getrunken, was Herrn T. wohl nicht geschadet haben kann. Als wir in bester Laune auseinandergingen, beabsichtigte er noch Verschiedenes einzukaufen. Soviel ich weiß, hatte T. etwas über fünfhundert Mark bei sich. Ich kann nach unserem Beisammensein nur an einen Unfall oder ein Verbrechen glauben.“
Aufgrund einer Belohnung von 500 Mark, die die Familie ausgesetzt hatte, kam es in der Folge zu verschiedenen Aussagen von angeblichen Augenzeugen. Am 9. April 1911 erschien dann in der „Stralsundischen Zeitung“ folgender Artikel: „Usedom, 9. April. (Bürgermeister Trömel= Usedom) hat sich wieder angefunden. Gestern Vormittag lief beim Magistrat in Usedom, zu Händen des Beigeordneten Mann, ein Brief vom Bürgermeister Trömel aus Paris ein, worin derselbe mitteilt, daß er auf eine ihm selbst unerklärliche Weise dazu gekommen sei, ins Blaue hineinzufahren und daß er dafür nur die Entschuldigung habe, infolge Ueberarbeitung in einen krankhaften Zustand geraten zu sein. Er bitte zu veranlassen, daß ihm von der Königlichen Regierung in Anbetracht der Sachlage zunächst ein Urlaub erteilt werde.“
Am 20. April 1911 kehrte Trömel nach Usedom zurück. Man unterzog ihn im Sanatorium Scharmützelsee einer psychiatrischen Untersuchung und kam zu dem Schluss, dass Trömel an einem „nervösen Erschöpfungszustand“ und unter „krankhaftem Wandertrieb“ litt. Er blieb dort neun Wochen. Es wurde dann ein Disziplinarverfahren gegen ihn angestrebt. Bis zur Einleitung dieses Verfahrens suspendierte man ihn mit dem halben Gehalt. Wegen seines festgestellten Zustandes und der zuvor geführten Amts- und Kassenführung, die „in bester Ordnung“ waren, konnte er sein Bürgermeisteramt weiter ausführen. Im Juli 1911 begann der nun wieder amtierende Bürgermeister mit dem Schreiben von Gedichten unter dem Titel „Gereimtes und Ungereimtes“. Im Mittelpunkt seines lyrischen Schaffens standen Naturbetrachtungen.
Gut zwei Jahre später, nämlich am 23. März 1913, verschwand Bürgermeister Paul Trömel nach einer Kreistagssitzung in Swinemünde zum zweiten Mal spurlos. Nachforschungen ergaben, dass er von dort aus mit der Bahn nach Berlin reiste. Die eingeleiteten Ermittlungen der Behörden sowie die Suche seiner Frau in Berlin führten zu keinem Ergebnis. Am 2. Mai erhielt eine Schwester Trömels einen Brief aus Saida (Algerien), in dem der Bruder ihr mitteilte, dass er sich im Zustand der Geistesabwesenheit für fünf Jahre bei der Fremdenlegion verpflichtet hat. Er bat sie in diesem Brief inständig, ihn aus dieser „entsetzlichen Lage“ zu befreien. Angaben über die Anwerbung und die Reise dorthin machte er nicht. Trömels Familie versuchte nun mit der Unterstützung des Auswärtigen Amtes die Befreiung aus der Fremdenlegion zu erreichen.
Am 15. Mai 1913 teilte die „Greifswalder Zeitung“ mit, dass ein Mann aus Tilsit, der gemeinsam mit Trömel in Paris für die Fremdenlegion angeworben wurde, sich befreien konnte. Dieser sollte sich in Deutschland für Trömels Freilassung einsetzen. In der Folgezeit veröffentlichten hierzu verschiedene französische Tageszeitungen wie das „Echo de Paris“, das „Echo d’Oran“ oder der Pariser „Matin“ gegenteilige Meldungen über die Umstände des Eintritts von Trömel in die Fremdenlegion. Ganz deutlich sind in diesen Meldungen der deutschen und der französischen Zeitungen die damaligen Spannungen zwischen beiden Ländern zu erkennen.
Während seines Aufenthaltes in Frankreich und in der Fremdenlegion verwendete Trömel unterschiedliche Namen. So tauchen solche Namen wie Tunzel, Funze, Tunke oder Tunge auf. Im Personalverzeichnis der Légion étrangère wurde er als Paul Tunze geführt. Der Pariser „Matin“ schilderte im Mai 1913 die Umstände, die Trömel dazu geführt haben, in die Legion einzutreten. Nachweislich liegen in diesen Aussagen Dichtung und Wahrheit eng nebeneinander. Die „Greifswalder Zeitung“ schrieb am Ende eines Beitrages zu diesen Äußerungen am 20. Mai 1913 folgendes: „Wenn Troemel alles das wirklich gesagt hat, woran man jedoch zweifeln darf, dann scheint er wieder in einen Dämmerzustand verfallen zu sein. Ein solches Blech redet kein vernünftiger Mensch. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass der „Matin“ etwas nachgeholfen hat.“ Auch das „Berliner Tageblatt“ berichtete bereits am 19. Mai über die Äußerungen Trömels gegenüber französischen Berichterstattern. Hier machte er wiederum deutlich, dass er seinen Dienst als Leutnant beim 54. Infanterieregiment in Wesel aus „Gesundheitsrücksichten“ quittieren musste und dass er als Bürgermeister und liberaler Kandidat für die Reichstagswahl politischen Schikanen ausgesetzt war. Ein Berliner Wochenblatt verglich den „Fall Trömel“ mit dem damals gerade erschienenen Roman von Graf Tolstoi „Der lebende Leichnam“. Hauptfigur ist hier ein Mann aus der guten Petersburger Gesellschaft, der dem Alkohol verfällt, seine Frau und das Kind verlässt und schließlich einen Selbstmord fingiert. Durch eine Denunziation erscheint er dann wieder aus der Versenkung, um seine Frau und ihren neuen Ehemann unter den Verdacht der Bigamie zu bringen. Letztendlich setzt er aber seinem Leben durch einen Revolverschuss ein Ende. Widersprüchliche Aussagen von deutschen Kameraden in der Fremdenlegion sollten das Bild von Trömel festigen.
Die Mutmaßungen, Verdächtigungen und Unterstellungen im Fall Trömel waren wochenlang in der deutschen und französischen Presse zu lesen. Am 10. Juni 1913 schrieb die „Greifswalder Zeitung“: „Usedom, 9. Juni. Trömels Grundbesitz wird verkauft! Eins der in der Swinemünder Straße hierselbst belegenen Grundstücke des in die Fremdenlegion übergetretenen Bürgermeisters Trömel ist durch Kauf in den Besitz des früheren Hofbesitzers Fritz Kruse in Welzin übergegangen. Der Kaufpreis beträgt 19.000 Mark.“
Am 22. Juni 1913 berichtete die gleiche Zeitung, dass das Auswärtige Amt alle Akten und die Fotografie des Fremdenlegionärs aus Stettin angefordert hat. Trömel selbst richtete ein Schreiben aus Saida an seine vorgesetzte Behörde, in dem er mitteilt, dass er sein Amt als Bürgermeister aus „Gesundheitsrücksichten“ niederlegt.
Aufgrund dieses Schreibens bewilligte die Usedomer Stadtverordnetenversammlung Frau Trömel und ihren Kindern eine Unterstützung in Höhe von 1.000 Mark. Die Usedomer Stadtverordnetenversammlung enthob ihn dann am 18. Juli 1913 seines Amtes.
In der „Stralsundischen Zeitung“ hieß es am 26. September unter anderem zu einem Gespräch Paul Trömels mit einem Berichterstatter des „Echo de Paris“: „Der Exbürgermeister erklärte, man solle ihn doch endlich in Ruhe lassen und sich nicht mehr um ihn kümmern. Nach seiner Entlassung (aus einem Krankenhaus in Oran, d. V.) wolle er sich in Paris niederlassen und einem bürgerlichen Beruf zuwenden. Er hoffe, daß seine Frau und seine Kinder dann zu ihm nach Paris übersiedeln können.“
Im Oktober 1913 konnte man die Meldung in der „Stralsundischen Zeitung“ lesen, dass sich auf die ausgeschriebene Bürgermeisterstelle in Usedom 160 Bewerber gemeldet hatten. Diese Stelle sollte dann ab 1. Januar 1914 wieder besetzt sein. Am 30. November hieß es dann in dieser Zeitung zur Wahl des neuen Bürgermeisters: „Es erhielt Assessor Dr. Münter=Stargard zehn Stimmen; er ist somit einstimmig gewählt.“
Trömel machte seine Ankündigung, in Paris seinen Wohnsitz zu nehmen, nicht wahr. Nachdem er von den französischen Militärbehörden offiziell wegen einer „Hörschwäche“ ausgemustert worden war, kehrte er Ende 1913 wieder nach Deutschland zurück. Hier erschien 1914 im Dresdener Verlag von Wendt & Co. sein autobiografischer Roman mit dem Titel „Vom Bürgermeister zum Fremdenlegionär – Das Rätsel meines Lebens“.
Über seinen weiteren Verbleib gab es am 7. Januar 1915 eine kleine Notiz in der „Greifswalder Zeitung“. Es heißt hier: „Usedom, 6. Jan. Troemel – Rechtskonsulent. Bürgermeister a. D. Troemel aus Usedom hat sich jetzt in Groß=Berlin ständig niedergelassen. In Charlottenburg betreibt er ein Rechtsbureau und empfiehlt seinen Rat in Steuersachen, Verwaltungs= und Versicherungsangelegenheiten sowie in allen Rechtsfragen. Ob damit der Friedlose dauernd seßhaft geworden ist, muß dahingestellt bleiben.“ Am 11. März 1917 stellte die Usedomer Polizei-Verwaltung ein Führungsattest aus. Das hatte folgenden Inhalt: „Dem Bürgermeister a. D. Otto Paul Trömel geboren am 29. Juli 1881 zu Gera-Reuß wird hiermit bescheinigt, daß über seine Führung während des Aufenthaltes in Usedom in der Zeit von August 1908 bis 21. März 1914 Nachteiliges zu amtlicher Kenntnis nicht gelangt ist.“ Von 1918 bis 1925 wohnte der Bürgermeister a. D. Paul Trömel in der Berliner Bleibtreustaße 25 (Nähe Ku’damm). Ab 1929 bis zum Jahr 1940 bezeugt das Berliner Adressbuch seinen Wohnsitz in der Carstennstraße 32 in Berlin-Lichterfelde. Durch Trömels Führerschein von 1932 wird diese Angabe bestärkt. Auch war er 1918 im Berliner Fernsprechverzeichnis als „Bürgermeister a. D.“ aufgeführt. Ob er mit seiner Ehefrau und den Kindern zusammen in Berlin gewohnt hat, ist nicht bekannt.
Im Landesarchiv von Baden-Württemberg weist eine Verfahrensakte des Interniertenlagers 75, Kornwestheim, aus den Jahren 1945/46 auf den damaligen Wohnort Trömels in Bürg (heute ein Ortsteil der Stadt Winnenden im Rems-Murr-Kreis). Ein letztes Zeichen von Paul Trömel gab es durch seinen Tod am 15. Januar 1949 in Wiesbaden. Das Adressbuch der Stadt von 1948 enthielt nur den Eintrag zu seiner jüngsten Tochter, der Ballettmeisterin Irmgard Trömel, in der Augustastraße 1. Sie wohnte hier bei ihrem Onkel, dem Kaufmann Otto Körner. Irmgard starb mit 96 Jahren als Letzte der drei Trömel-Kinder 2005 in Trier.
Text: Bernd Jordan (erschienen im Usedomer Amtsblatt am 21.04.2021)
Literatur- und Quellenangaben
- Berliner Adreßbuch, Berlin 1918-1940.
- „Berliner Tageblatt“: 18.05., 19.05.1913.
- Dokumente (Geburts- u. Sterbeurkunden, Auszüge aus dem Ahnenpass, Führungszeugnis, Gedichte von P. Trömel u. a.) aus dem Nachlass von Irmgard Trömel (1909-2005), jüngste Tochter von Paul Trömel.
- „Greifswalder Zeitung“: 11.05., 15.05., 17.05., 20.05., 21.05., 28.05., 10.06., 19.06., 22.06., 24.06., 3.07., 5.07.1913, 7.01.1915.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Trömel_(Politiker)
- https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Paul_Trömel_alias_Tunzé_1913.PNG
- https://www.ebay.de/itm/Paul-Troemel-Vom-Buergermeister-zum-Fremdenlegionaer-USEDOM-Original-1914-/174370551908
- „Stralsundische Zeitung“: 25.02., 28.02., 1.03., 11.04., 23.04., 25.04.1911; 10.05., 11.05., 11.05., 16.05., 21.05., 20.05., 21.05., 22.05., 29.05., 6.06., 24.06., 3.07., 25.09., 30.10., 27.11., 30.11.1913.
- Schmid, Frank-Steffen, Tabellarischer Lebenslauf vom Bürgermeister a. D. Paul Trömel (maschinenschrftl.) u. genealogische Aufzeichnungen zu P. Trömel o. J.
- Trömel, Otto Paul: Vom Bürgermeister zum Fremdenlegionär – Das Rätsel meines Lebens, Dresden 1914.
- Verzeichnis der Teilnehmer an den Fernsprechnetzen in Berlin und Umgegend 1918, S.1187.